Informationen zum Klassenexperiment mit Drittklässlern (Video 1)
Das Experiment in Kürze
Ende der 60-er-Jahre arbeitete Jane Elliott als Grundschullehrerin im Staate Iowa, in einer Kleinstadt mit ausschliesslich weisser Bevölkerung. Nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. am 4. April 1968 wollte sie einen aktiven, starken Beitrag zur Bewusstwerdung und Verminderung von rassistischem Gedankengut leisten. Sie führte mit mehreren ihrer Schulklassen ein zweitägiges Experiment durch. Eines davon, sie hatte damals eine dritte Grundschulklasse, wurde im Jahr 1970 verfilmt. (youtube.com, Zugriff am 11.07.2020)
Zu Beginn macht die Lehrerin klar, dass sie in den nächsten Tagen die Themen «Diskriminierung» und «Rassismus» behandeln werde. Sie behauptet nun, dass Menschen mit blauer Augenfarbe schlauer, sauberer, zuverlässiger – schlicht: die besseren Menschen seien als solche mit brauner Augenfarbe. Die Kinder mit brauner Augenfarbe müssen eine Binde um den Hals anziehen, damit man auch aus Distanz erkennt, zu welcher «Sorte» von Menschen sie gehören. Die Kinder mit blauer Augenfarbe werden bevorzugt (dürfen länger Pause machen, Spielgeräte in der Pause benutzen, zuerst zum Mittagessen gehen, sich zweimal schöpfen), und sie werden während des Unterrichts gelobt. Den Kindern mit brauner Augenfarbe wird immer wieder an kleinen
Beispielen (einzelne Schülerinnen und Schüler betreffend), dass sie weniger gute Lerner sind und es verdient hätten, weniger Privilegien zu haben.
Am zweiten Tag erklärt die Lehrerin, dass sie sich geirrt hätte: Es sei nämlich erwiesen, dass Personen mit brauner Augenfarbe die besseren, gescheiteren, zuverlässigeren Menschen seien. Also müssen die Kinder mit blauen Augen die farbigen Halsbinden anziehen. Sie verlieren im Schulalltag ihre Privilegien, welche nun an die braunäugigen Kinder übergehen.
Schliesslich, am Nachmittag des zweiten Tages, löst die Lehrerin das Experiment auf. Sie erklärt, dass es ums Erleben und Lernen über Diskriminierung und Rassismus ging und dass kein Mensch weniger wert sei als ein anderer. Die Halsbinden werden in den Abfalleimer geworfen, die Klasse ist wieder eine Einheit von gleichwertigen Mitgliedern.
Zusammenfassung des Films
Weil der Film in englischer Sprache ohne Untertitel ist, werden einige zentrale Stellen im Folgenden erläutert.
Zeit | Beschreibung |
---|---|
00:30 | Jane Elliott spricht über ihren Beweggrund: Im «weissen» Iowa hätte man wohl über Rassismus reden können – aber Drittklässlern könne man nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. nicht erklären, was hier wirklich abgegangen sei. Die Lehrerin suchte einen Weg, Ausgrenzung und Diskriminierung für ihre Schülerinnen und Schüler erlebbar zu machen. Nur so sei dieses Phänomen einer systematischen Diskriminierung für sie wirklich nachvollziehbar. |
00:50 | Im Off-Text sagt die Lehrerin (mit Blick auf ihr durchgeführtes Experiment): «Ich sah, wie sich wundervolle Kinder, die sich in kürzester Zeit in feindselige, grausame, diskriminierende kleine Drittklässler verwandelten. |
01.20 | Es wird kurz gezeigt, wie Jane Elliott 14 Jahre nach dem Experiment ihre ehemaligen Schülerinnen und Schüler empfängt, um mit ihnen den Film über das Experiment nochmals anzuschauen und zu diskutieren (diese Diskussion können Sie sich im zweiten Video anschauen). Einige kommen mit ihren Ehepartnern oder auch mit ihren kleinen Kindern zu diesem Treffen. |
02:35 | Der erste Tag des Experiments beginnt. Der Unterricht startet mit dem Singen der Nationalhymne «God Bless America». |
03:10 | Die Lehrerin führt ins Thema ein. Es geht um Diskriminierung. Sie spricht davon, dass in diesem Land jeder Mensch sein Gegenüber als «Bruder» betrachten soll. Sie fragt die Kinder, ob es Menschen gebe, die üblicherweise nicht als «Brüder» behandelt würden. Die Kinder zählen sofort auf: Schwarze, Indigene – und sie können auch ausdrücken, was man über diese Menschengruppen denkt und sagt. |
03:50 | Die Lehrerin sagt, dass sie nicht glaube, dass irgend jemand hier drin – alle sind von weisser Hautfarbe – nachfühlen könne, was es wirklich bedeutet, als minderwertig betrachtet und diskriminiert zu werden. |
04:10 | Sie schlägt darum vor, ein Experiment zu machen: Die Klasse wird in zwei Gruppen eingeteilt, in Blauäugige und Braunäugige. Sie, die Lehrerin, hätte blaue Augen. Deshalb schlage sie vor, dass die blauäugigen Kinder an diesem ersten Tag die bevorzugten sein sollen. |
04:30 | Sie erklärt: «Menschen mit blauen Augen sind die besseren Menschen in diesem Raum» – sie seien schlauer, sauberer und zuverlässiger – das sei ein klarer Fakt. |
05:20 | Ein Junge schüttelt den Kopf und zeigt, dass er damit nicht einverstanden sei. Die Lehrerin fragt ihn, was ihn denn so sicher mache, dass er – und nicht sie – Recht habe. Der Junge sagt schliesslich verunsichert: «Ich weiss es nicht.» Die Lehrerin geht nicht weiter darauf ein und erläutert Privilegien, welche die Kinder mit blauen Augen nun haben: |
05.35 | Blauäugige dürfen fünf Minuten länger Pause machen. Sie dürfen in der Pause nicht mit braunäugigen Kindern spielen – weil diese nicht so gut seien wie diejenigen mit blauen Augen. Ausserdem dürfen braunäugige Wasser nur aus Pappbechern trinken; wenn sie direkt vom Wasserhahn trinken würden, könnten sich die Blauäugigen ja vielleicht eine Krankheit holen. Die Kinder mit blauen Augen zeigen einen gewissen Stolz und Freude angesichts dieser Regeln. Die Kinder mit braunen Augen reagieren gedämpft und konsterniert. |
06:05 | Die Lehrerin verteilt Halsbinden. Braunäugige Kinder müssen sie anziehen. So könne man auch aus Distanz sehen, wer welche Augenfarbe habe. |
06:20 | Der normale Unterricht beginnt. Nicht alle Kinder sind schon bereit. Die Lehrerin spricht ein bestimmtes Mädchen an, das noch nicht ganz bereit ist. Sofort sagt ein anderes Kind: «Braune Augen!» Die Lehrerin bestätigt, dass das Mädchen braune Augen hat – klar, dass ein solches Kind noch nicht bereit sei. Den blauäugigen Kindern sagt sie: «Es ist eben eine grosse Herausforderung für euch Blauäugigen, dass ihr immer auf die Braunäugigen warten müsst.» |
06:50 | Kurz vor der Mittagspause: Die Lehrerin fragt, wer zuerst zum Mittagessen gehen soll. Sofort rufen mehrere: «Die Blauäugigen!». Die Lehrerin bestätigt dies. Zudem gibt sie die Regel heraus, dass sich die Braunäugigen kein zweites Mal schöpfen dürfen. |
07:15 | In der Nachmittagspause drücken einige Kinder mit braunen Augen aus, wie sie sich fühlen, unter anderem: «Alles Schlechte passiert immer uns.» «Man probiert besser gar nichts mehr, weil ja eh nichts gelingt.» «Es scheint, dass einem die besten Freunde weggenommen werden.» |
07:50 | Nach der Mittagspause wird einen Streit besprochen; es gab eine Rauferei. Ein beteiligter Junge – in sichtlich gedämpfter Stimmungslage – erklärt, wie es dazu kam: Er wurde von blauäugigen Kindern gehänselt; sie riefen ihm «Braunäugiger!» nach. Andere Braunäugige bestätigen, dass sie heute ständig so betitelt wurden. Man spürt in der Diskussion: Die Klasse ist nach nur einem knappen Tag in zwei Teile gespalten. |
08:40 | Die Lehrerin fragt John, der sich in der Mittagpause mit anderen geprügelt hat: «Hast du zugeschlagen, weil du «Braunäugiger» genannt wurdest?» Der Junge nickt. Die Lehrerin fragt weiter: «Half es?» Der Junge verneint. «Führte es dazu, dass es aufhörte?» Der Junge verneint. «Führte es dazu, dass du dich innerlich besser fühltest?» Sie muss zwei Mal fragen … er scheint sich nicht so sicher zu sein über seine Gefühlte. Schliesslich verneint der Junge. |
08:55 | Nun fragt sie einen blauäugigen Jungen, ob er sich besser fühle, wenn er den Jungen «Braunäugiger» nenne. Sie fragt, ob er das tue, um lustig zu sein, oder um gemein zu sein. Der Junge windet sich und bestätigt schliesslich: «Um gemein zu sein.» |
09:40 | Die Lehrerin berichtet rückblickend nochmals (wie bereits im Vorspann): «Ich konnte beobachten, dass innert kürzester Zeit aus wundervollen Kindern gemeine, diskriminierende Wesen wurden.» |
09:50 | Am nächsten Morgen: Die Lehrerin rekapituliert, dass sie gestern gesagt habe, dass braunäugige Menschen nicht so gut seien wie blauäugige Menschen. Das sei aber nicht wahr gewesen, sie hätte die Klasse gestern angelogen. Das Gegenteil sei der Fall: Braunäugige Menschen seien die besseren Menschen. |
10:10 | Sie fragt einen (blauäugigen) Jungen, wo er seine Brille habe. Er sagt, er hätte sie zuhause vergessen. Die Lehrerin macht klar, dass das ein typisches Beispiel sei: Das Mädchen hinter ihm, mit braunen Augen, hätte die Brille selbstverständlich nicht vergessen. (Es ist dasselbe Mädchen, das gestern zu Beginn des Experiments von der Lehrerin als unaufmerksam hervorgehoben wurde – nun wird sie als «gut» hervorgehoben.) |
10:30 | Die Lehrerin bringt ein weiteres Beispiel: Ein Junge hätte gesagt, dass er seine kleine Schwester richtig deftig schlagen wolle, weil das lustig sei. Welche Augenfarbe habe dieser Junge: Blau. Was sage uns das über blauäugige Menschen? Die Kinder antworten: «Sie sind ungezogen und frech.» |
10:50 | Die Halsbinden werden getauscht. Die Braunäugigen übergeben sie den Blauäugigen, die sie nun anziehen müssen. Die Pausenregeln: Braunäugige haben 5 Minuten mehr Pause. Den Blauäugigen ist es verboten, in den Pausen den Spielplatz zu benutzen. Braunäugige dürfen nicht mit den Blauäugigen spielen. |
11:20 | Die Lehrerin stellt fest: «Braunäugige sind besser als Blauäugige. Sie sind schlauer und verständiger. Und wenn ihr es nicht glaubt: Schaut euch Brian an.» |
11:30 | Während die Lehrerin weiter spricht, redet der (blauäugige) Junge – er hat soeben wie alle mit seiner Augenfarbe seine Privilegien verloren – wütende, empörte (lautlose) Worte in Richtung seiner Lehrerin. Die Lehrerin scheint darauf Bezug zu nehmen, indem sie dies als «sehr, sehr traurig» bezeichnet. |
11:50 | An der Wandtafel wird der Buchstabe «W» geschrieben. Der Junge, der gestern noch als Mitglied der benachteiligten Gruppe der Braunäugigen in eine Rauferei verwickelt war, wird nun als Schnell-Lerner gelobt. Er scheint motiviert und glücklich zu sein. |
12:20 | Ein blauäugiger Junge hat – wie vereinbart – Wasser aus einem Pappbecher getrunken und ihn anschliessend in den Abfalleimer geworfen. Er wird von der Lehrerin aufgefordert, ihn herauszuholen und mit seinem Namen zu beschriften. Blauäugige Menschen seien verschwenderisch, begründet sie. |
12:50 | Eine Lernsequenz mit den braunäugigen Kindern. Am vorherigen Tag hatten sie die gleiche Aufgabe. Heute arbeiten sie viel schneller, besser, motivierter. Sie erklären, dass sie gestern ständig ihre («schlechte») Augenfarbe im Kopf gehabt hätten und deshalb nicht richtig lernen konnten. Heute sei es nun ganz anders gewesen. |
13:20 | Dasselbe mit der Gruppe der «benachteiligten Blauäugigen»: Sie hatten heute deutlich länger als gestern. Die Lehrerin fragt, woran das gelegen hätte. Die Kinder können es nicht sagen. Die Lehrerin kommt ihnen zuvor: «Ich hasse den heutigen Tag … weil ich selbst blaue Augen habe.» Das sei nicht schön, nicht lustig. Das hätte mit etwas zu tun, das «Diskriminierung» genannt wird. Sie fragt, ob das fair sei. Die blauäugigen Kinder sagen: «Nein.» Sie macht klar, dass das heute kein fairer Tag für sie sei. |
14:20 | Am Nachmittag wird das Experiment aufgelöst. Die Lehrerin fragt die Kinder, wie es sich als «benachteiligt» angefühlt habe. Die Kinder sprudeln heraus, wie das für sie war. Ein Junge sagt: «Wie ein Hund an einer Leine habe ich mich gefühlt.» Ein anderer: «Ich fühlte mich wie im Gefängnis, und jemand hat den Schlüssel fortgeworfen.» |
15:30 | Die Lehrerin will von den Kindern wissen, ob sie zukünftig, wenn sie einen Menschen mit anderer Hautfarbe sehen, denken würden: «Der ist weniger wert als wir.» Die Kinder sagen im Chor: «Nein.» Die Lehrerin macht immer wieder darauf aufmerksam, dass es nicht darum gehe, dies jetzt so zu sehen und zu sagen, sondern während des gesamten Lebens, das vor den Kindern liegt. |
16:10 | Die Kinder dürfen die Halsbinden wegwerfen. Einige zerreissen sie. Ein Junge versucht mit aller Kraft und über eine lange Zeit, die Halsbinde in Stücke zu zerfetzen, die er dann einzeln in den Abfalleimer wirft. |
17:00 | Die Lehrerin resümiert mit den Kindern, dass sie nun etwas ganz Wichtiges gelernt hätten. Sie vereinigen die Klasse als Gemeinschaft – egal mit welcher Augenfarbe – und beschliessen so diese zwei Schultage. |