Gedankenexperimente

Gedankenexperimente in der Ethik sind in der Regel extreme, oft unwahrscheinliche Fälle, die ein Problem verdeutlichen sollen. Wähl Dir eines der Experimente aus, nimm Dir ein paar Minuten Zeit, lies es durch und schliesse die Augen. Lass Deine Gedanken einen Moment schweifen und überlege: Wie würde ich mich entscheiden? Was würde ich tun? Oder lass dich von den Gedankensplittern inspirieren.
Eine gerechte Welt

«Wenn du Frieden willst, suche die Gerechtigkeit» steht am Den Haager Friedenspalast. Doch wie sieht eine gerechte Gesellschaft deiner Meinung nach aus? In Anlehnung an den berühmten Schleier des Nichtwissens aus John Rawls Theory of Justice (1971):
Gedankensplitter: Angenommen, du könntest eine gerechte Welt erschaffen
- Welche Grundsätze sollen für alle gelten?
- Welche Grundsätze sollen für die grundlegenden Institutionen der Gesellschaft gelten und welche Institutionen sollen überhaupt eingerichtet werden?
- Welche Güter sollen an alle Menschen gleich bzw. ungleich verteilt werden?
- Wie sollen die Güter verteilt werden?
- Welche Chancen soll jeder haben?
- Welche Rolle hat der Staat, welche Aufgaben soll er übernehmen?
- Sollen alle gleich sein und alle gleich behandelt werden?
- Dürfen Formen von Ungleichheit zwischen den Menschen bestehen?
Entwickle Dein Szenario einer gerechten Welt!
Quelle
- Eine Theorie der Gerechtigkeit, eine Zusammenfassung auf getabstract.com (2021): https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/eine-theorie-der-gerechtigkeit/3996
Bedingungsloses Grundeinkommen
Eine Gesellschaft entscheidet sich ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle einzuführen. Egal in welchem Beruf jemand tätig ist oder welche Ausbildung er/sie absolviert hat. Für Berufe, die besonderen Belastung oder Gefahren ausgesetzt sind wie Lokomotivführer:innen oder Bauarbeiter:innen kann eine Zulage ausbezahlt werden. Damit will sie die bestehende Kluft zwischen Arm und Reich ausgleichen. Und die Menschen sollen das tun können, was sie gerne tun möchten, sowohl beruflich als auch privat. Ein Teil der Gesellschaft argumentiert, dass viele Menschen nicht für Geld, sondern für die Freude an der Arbeit und den Ergebnissen arbeitet und diese Rolle als Tätige in der Gesellschaft braucht.
Gedankensplitter:
- Bilde dir eine Meinung zum Vorgehen des Staates unter dem Wert der Gerechtigkeit.
- Manche Menschen werden mehr arbeiten müssen, damit andere ihren Vergnügen sicher nachgehen können. Ist das gerecht?
Lesetipp:
Probleme mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. https://www.ubs.com/microsites/nobel-perspectives/de/latest-economic-questions/finance-economics/articles/problems-with-ubi.html
Glückspille – Neuro-Enhancement

Wir stoßen, auch wenn wir physisch und psychisch gesund sind, immer wieder an unsere Grenzen. Neuro-Enhancement ist der Versuch gesunder Personen, ihre geistige Leistungsfähigkeit durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen zu steigern. Im Wesentlichen sollen Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis und die emotionale Befindlichkeit verbessert werden.
Gedankenexperiment Glückspille: Dir wird vom Hausarzt das Rezept für eine Glückspille angeboten, die deine physischen und psychischen Kräfte stärken wird. Die Pille verspricht ein glückliches, zufriedenes und erfülltes Leben. Schon Aristoteles schreibt, dass die Suche nach dem Glück allen Menschen innewohnt, du kommst dem Ziel mit der Einnahme der Pille näher.
Gedankensplitter:
- Du kannst Dir die Glückspille leisten, Dein Nachbar nicht.
- Du triffst eine autonome Entscheidung, niemand kann Dich zur Einnahme zwingen, es ist nur eine Frage Deines Hausarztes und es ist „das Recht eines jeden entscheidungsfähigen Menschen, über sein persönliches Wohlergehen, seinen Körper und seine Psyche selbst zu bestimmen“ (Galert et al. 2009, 41).
- Sollen Glückspillen jenen Menschen zugutekommen, die offensichtlich benachteiligt sind?
- Die Gesellschaft erwartet fitte und emotional stabile Personen, die gute Leistungen erbringen. Ist es deine Pflicht, die Pille zu schlucken?
- Was ist Glück?
Quelle
- Galert, T., Bublitz, C., Heuser, I., Merkel, R., Repantis, D., Schöne-Seifert, B., Talbot, D. (2009): Das optimierte Gehirn. In: Gehirn&Geist 11 (2009), 40–48.
- Glück
- Gutes Leben
Teekesselchen – Glauben oder Beweisen?

Der britische Logiker und Philosoph Bertrant Russell (1872 – 1970) beschrieb das Gedankenexperiment Teekanne oder Teekesselchen wie folgt:
Stell dir vor, dein Nachbar glaubt, irgendwo zwischen Mars und Erde kreist eine Teekanne um die Sonne. Zwar hat noch niemand diese Teekanne gesehen, widerlegen kann man den Glauben des Nachbarn jedoch auch nicht. Der Nachbar sagt, was nicht widerlegt ist, darf behauptet werden.
Gedankensplitter:
- GIbt es Dinge nur, wenn sie bewiesen sind?
- Wer muss den Beweis erbringen?
- Gibt es Gott?
- Wann ist «Glauben» gefährlich?
- «Gesunder Menschenverstand» – gibt es ihn?
Link
Philosophix: https://www.youtube.com/watch?v=TwnWnl3kf1I
Heinz Dilemma
In der Ethik gibt es einige regelmässig, vor allem in pädagogischen Kontexten, verwendete Dilemmata. Im Rahmen der Gedankenexperimente findest du hier eines davon, verwendet u.a. von Lawrence Kohlberg, um die Entwicklung der Moral zu untersuchen.
Eine Frau ist lebensgefährlich an Krebs erkrankt. Es gibt nur ein Medikament, welches ihr helfen kann. Der Apotheker des Ortes hat als einziger im Land das Medikament vorrätig. Heinz, der Ehemann der kranken Frau, sucht den Apotheker auf und schildert die lebensbedrohliche Lage der Frau. Der Apotheker wittert ein gutes Geschäft und verlangt ein Vielfaches des ursprünglich vorgesehenen Preises. Heinz und seine Frau können weder mit Fundraising noch durch einen Kredit die Summe aufbringen. Heinz geht zum Aptheker und bietet ihm an, erst mal die Hälfte der Summe zu zahlen und den Rest später schrittweise zu erstatten. Der Apothker lehnt ab. Heinz fleht den Apotheker an, auf seinen Vorschlag einzugehen, weil seine Frau sonst sterben muss, doch der lässt sich nicht umstimmen. In der Nacht bricht Heinz in die Apotheke ein und stiehlt das Medikament. Darf er das? Warum? Warum nicht? (Vgl. Kohlberg, 1974)
Gedankensplitter
- Wäre Heinz am Tod seiner Frau mitschuldig, wenn er das Medikament nicht stehlen würde?
- Wäre der Apotheker Schuld am Tod der Frau?
- Darf man etwas Falsches tun, um etwas Gutes/Richtiges zu erreichen?
Quellen
Kohlberg, L. (1974): Zur kognitiven Entwicklung des Kindes. Suhrkamp: Frankfurt a.M.